Die Denazifizierung in Hausach
Denazifizierung - Entnazifizierung
Die Graustufen zwischen Loyalität und Widerstand
Auch in Hausach galt es, wie in den anderen Orten des Mittleren Kinzigtales, dem allierten "Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus" Geltung zu verschaffen. Den dafür gegründeten Ausschuss des Wolfacher Landratsamtes zur Denazifizierung der Kinzigtäler Verwaltungen gehörten Bürgermeister Fimpel aus Hornberg, ein Regierungsinspektor Schönlein aus Wolfach, der Brauereibesitzer Ketterer aus Hornberg, sowie Gustav Habermann aus Haslach an.
Das Schicksal vieler Kinzigtäler und deren Familienangehörigen hing von der objektiven Einschätzung dieser Personen ab. Sie konnten freisprechen oder brandmarken, indem sie beispielsweise mit der Einstufung in "Kategorie III" (Geringer Übeltäter) ein Berufsverbot oder auch hohe Geldstrafen anordnen konnten. In den Gemeinden Hausach und Einbach waren viele Bürger davon betroffen. Wer einen Neubeginn plante, brauchte den "Persilschein", der ihn von aller Last aus dem "Tausendjährigen Reich" reinwaschen sollte. In den staatlichen und kommunalpolitischen Behörden war die Mitgliedschaft in der NSDAP als Voraussetzung der Berufsausübung zwingend notwendig.
Auf der einen Seite waren Anschuldigungen, oft mit dem Motiv der späten Rache, schnell anonym angezettelt. Es fanden sich aber selten Belastungszeugen, die Vorwürfe beeiden konnten oder wollten. Umgekehrt fiel nach Jahren aber auch auf, dass viele "Starkbelastete" nie angeklagt wurden und in der Nachkriegszeit mit besten Leumundszeugnissen Anerkennung fanden. Auf örtlicher, Hausacher und Einbacher Ebene waren mit der Denazifizierung weitere Personen beauftragt, die allerdings nur bei der Bewertung eingehender begründeter Widersprüche der Betroffenen zu hören waren. Für die Gemeinde Einbach hatten diesen gewissenhaften Dienst die Herren Josef Rauber, Georg Neumaier und Matthäus Schmider zu versehen.
Zur Einstufung bezüglich der tatsächlichen Unterstützung der NSDAP standen daher u.a. auch die beiden Ratschreiber Wilhelm Kienzle und Heinrich Vetterer an. Schließlich waren sie den von der NSDAP politisch eingesetzten Bürgermeistern Kölmel und Klausmann unmittelbar unterstellt. Als Beamte vor Ort hatten sie, ebenso wie die Schullehrer, die Anordnungen des NS- Ortsgruppenleiters und der "politischen" Bürgermeister verwaltungstechnisch oder auch pädagogisch umzusetzen. Der "Deutsche Gruß" galt in allen Amtsstuben, auch in den Klassenräumen der Volksschule. Ob die jeweiligen Amtsträger sich der NS-Ideologie in Treue verpflichtet fühlten, war äußerlich schwer zu erkennen. Beamtenrechtliche Loyalität wurde bedingungslos eingefordert, dennoch gab es in der Ausübung des Dienstes zwischen Loyalität und Widerstand viele Graustufen. -
Die Einstufung des Wolfacher Entnazifizierungs-Ausschusses fiel u.a. auch für Heinrich Vetterer zunächst nachteilig aus. Er wurde vom Dienst des Einbacher Ratschreibers suspendiert. In einem umfangreichen Widerspruch wies Ratschreiber Vetterer jedoch nach, dass er sich dem Hausacher Ortsgruppenleiter häufig im Ziel widersetzt hatte. (Aus der Begründung des Ratschreibers) „Seit 1933 wurde seitens der Partei wiederholt versucht, die Gemeinde Einbach mit Hausach politisch zu vereinigen … jedesmal ein Misserfolg„ …auch das Ziel des Ortsgruppenleiters in Hausach mich als Werkzeug zur Mitgliederwerbung zu benützen, ging fehl …“
Neben seinem persönlichen sachlich begründeten Wider- spruch waren fünf bewegende eidesstattliche Erklä- rungen von Mitbürgern, die zwar Vetterers Pensionsansprüche für die Zeit der Parteizugehörigkeit nicht verhindern konnten, dafür jedoch die fristlose Kün- digung: Es waren Sylvester Schmid (Spänlehof) Hauserbach, Josef Harter, Bauer in Einbach, Augustin Kohmann, Bauer in Einbach-Sulzbach, Anton Armbruster, Bauer in Einbach, Mathäus Wagishauser, Bauer in Einbach-Sulzbach.
Mit einem deutlich begründeten Schreiben distanzierte sich der Hausacher Pfarrverweser Ernst Würth von der Einstufung der Wolfacher Denazifi- zierungsstelle. Interessant sind seine Ausführungen bezüglich der Glaubenspraxis bekennender Katholiken, zu denen Pfarrer Würth Heinrich Vetterer zählte und der Kirchenferne mit der Hausacher Nationalsozialisten auffielen.
Trotz Suspendierung war Heinrich Vetterer bis zur Rehabilitation und der Wiederaufnahme seiner Amtsgeschäfte der „heimli- che“ Ratschreiber, war er doch der einzige Hauptamtliche der Gemeinde und somit über alle Vorgänge des Ortes der vergangenen drei Jahrzehnte bestens vertraut.
Im Rahmen eines Unterrichtsprojektes hatten sich Schüler der 10. Klasse der Graf-Heinrich-Schule mit dieser schwierigen Thematik mit ihrem Lehrer Manfred Schoch auseinandergesetzt. Mit dabei war ein Enkel des vor 65 Jahren zu Unrecht falsch eingestuften Ratschreibers Heinrich Vetterer; auf der einen Seite ein Lehrbeispiel öffentlicher Rehabilitation eines nahen Angehörigen im lebensnahen Geschichts-Unterricht. Andererseits stellte die forschende Schülergruppe abschließend, wohl mit berechtigtem Zweifel fest, dass die meisten Kinzigtäler zu den Kategorien IV oder V zählten und bald nach Kriegsende als Mitläufer, Unbelastete oder völlig Entlastete eingestuft waren.
Text / digitale Bearbeitung: Bernd Schmid , Quelle: Unterrichtsprojekt der 10. Klasse der Graf-Heinrich-Schule, Schulentlassung 2011 . Die Redaktion von "Hausach-Chronik-online" dankt den Schülerinnen und Schülern und ihrem Lehrer Manfred Schoch für ein beispielgebendes Forschungsprojekt.