Ein neuer Start, kirchliche Jugendarbeit
Nach den schweren Kriegsjahren suchten die Hausacher Trost und Hoffnung in den beiden Kirchen.
Auch die Jugendarbeit suchte neue Wege. Die Katholiken waren stolz auf ihre Ministranten.
Lothar Sonntag, auf dem Bild neben Pfarrer Ernst Würth, erinnert sich nach vielen Jahrzehnten noch sehr gerne und im Detail an die vielen Herausforderungen der damals nicht einfachen, aber abwechslungsreichen und wichtigen Aufgabe der frohen Schar der Ministranten.
"In den ersten Nachkriegs-Jahren konnten katholische Jungen von 8 -10 Jahren Ministrant werden, sofern sie geeignet waren. Der Aufnahmetest bestand im erfolgreichen Auswendiglernen des Zungenbrechers "Suscipiat dominus sacrificium" und dem Paternoster. Nach einer Bewäh- rungszeit konnte man mit dreizehn Jahren zur Kerntruppe der „Ersten Sieben“ aufsteigen, wobei der Älteste oder der am längsten Dienende Zeremoniar wurde. Damals war das unser "Zerm", später Oberministrant. Die "ersten Sieben", die meist nur bei Hochämtern und Feiertagen in dieser Formation dienten, hatten ein besonderes Habit, das aus rotem Rock, weißem Chorhemd, rotem Rundkäppi und statt des üblichen Kragens (Bild vorne) einer roten, kurzen Pelerine mit Kapuze bestand.
Jeder hatte besondere Aufgaben. Man ging in 2er-Reihen, als letzter der „Zerm“ unmittelbar vor dem oder den Geistlichen zum Altar bzw. in der Prozession. Die beiden zuletzt Eingetretenen vorneweg mit schweren silbernen Leuchtern und brennender Kerze. Sie hatten ihren Platz links und rechts außen auf den Altarstufen, die nächsten beiden waren die Helfer am Altar. Sie hatten viel zu tun: Die Stufengebete lateinisch aufzusagen, pünktlich die Klingelzeichen während der Messe zu geben, das Ding-ding dong-dong-Schellen während der Prozession, die Ehrenbegleitung des Predigers zur Kanzel und sämtliche Handreichungen am Altar, wie Opferungswein und Wasser zu reichen, schwere Messbücher von einer Altarseite zur anderen tragen oder bei der „Asperges me“- Weihwasserzeremonie den Brokatmantel des Pfarrers offen zu halten. Um immer zeitgleich und synchron von beiden Seiten zu agieren, benutzte man ein scharfes „Sssssst“ zur jeweiligen Aktion. Spezialaufgaben wie das rhythmische Hämmern der hölzernen Karfreitagsklappern (klipp-klipp, klapp-klapp) während innerkirchlicher Umgänge waren seltene Höhepunkte, da in der Karwoche Glocken und Schellen tabu waren.
Die dritten Beiden waren mit Rauchfass und silbernem Weihrauchschiffchen quasi die Stars der Truppe, vor dem Gottesdienst mussten sie glühende Holzkohlen aus dem Herdfeuer des Pfarrhauses herbei schaffen.Sie standen nach dem feierlichen Einzug separat an der Seitenwand des Chores, schwenkten das Rauchfass und warteten auf ihr Kommando: „Inzenz“.
Unentbehrlich waren die Altarbuben auch bei der nachmittäglichen Vesper um 14 Uhr. Da wurde kräftig gesungen im Wechsel von Altarmannschaft und den Gläubigen, da gab es immer Solo- oder Duo-Einsätze der besten Sänger, eine besondere Ehre, die auch ich sehr genossen habe.
Am wenigsten begehrt war der Altardienst der Frühmesse um 6.30 oder 6.45 Uhr, besonders im Winter eine echte Herausforderung auf den kalten Steinstufen, ungefrühstückt sowieso. Bei Todesfällen waren abends 2 oder 3 Toten-Rosenkränze üblich, wo nach dem „schmerzhaften Rosenkranz“ die Allerheiligenlitanei von einem Ministranten vorgebetet wurde. Er war platziert unmittelbar vor den Hinterbliebenen und Trauergästen auf der „Männerseite“ rechts, denn auf den linken Kirchenbänken waren nur Frauen.
Der Vorbeter hatte wie alle anderen Erwachsenen in der dunklen Kirche einen brennenden sogenannten „Wachsstock“ vor sich zum Beleuchten des Textbuches. Das war ein ovales Rundknäuel von endloser makkaroni-dicker Wachskerzenschlange, immer wieder musste das brennende Ende mit einem Nagel senkrecht hochgebogen werden, Männer und Frauen waren gleichermaßen damit beschäftigt, während sie jeden Heiligennamen des Vorbeters mit „Bitt für uns“ beantworteten.
Beerdigungen standen auch nicht gerade auf der Hitliste, der lange Weg zum Friedhof in schwarz-weißem Habit, mit Rauchfass, nach der Totenmesse in der Dorfkirche langes Herumstehen am Grab in Trauerumgebung, bei Novemberregen danach Rückmarsch zur Stadtkirche.
Dagegen waren Hochzeiten direkt ein Vergnügen mit dem Brautpaar am Altar, nach den Zeremonien kamen sie mit Trauzeugen in die Sakristei, um mit ihrer Unterschrift das Bündnis zu beglaubigen. Nicht selten gab es ein Trinkgeld direkt.
Dasselbe geschah bei Taufen, bei denen die Paten immer freigebig mit Münzgeld waren. Am Ende des Jahres verteilte der „Zerm“ ein paar Mark für die geleisteten Dienste, je nach Zahl der Einsätze.
Allsonntäglich war der Klingelbeutel-Einsatz von 4 Ministranten. Es gab 2 Sammelgeräte an kurzen Stangen für die Seitenbänke und die stehende Masse im Eingangsbereich und zwei 3 Meter lange Stangenbeutel, die vom Mittelgang in die Bankreihen geschoben wurden. Bei schwerer Münzenladung war es manchmal schwierig, die ausgestreckte Stange über die Häupter der Gläubigen zu balancieren, gelegentlich saßen danach ein paar Damenhüte schief.
Wir machten einfach alles, was gefragt war. So auch an einem der hohen Feiertage, am Palmsonntag, als die Ministranten einen Palmenrekord aufstellten, bei dem das Prachtstück höher war als die Kirchendecke! Beim Aufstellen des bändelgeschmückten Doppelkreuzes kommandierte „Onkel Luis“ kategorisch: „Absäge“! Was wir nicht taten. Sondern wir steckten das obere Ende der Palmbusches durch die „Heilig Geist“-Klappe in der Kirchendecke, von der man in früheren Zeiten am Pfingsttag eine Taube in den Kirchenraum flattern ließ. Unser Höhenrekord wurden nie gebrochen, aber die Palmkreuze wurden in der Folge immer kürzer.
Außendienst gab es auch 2 – 3 Mal im Jahr. In den Seitentälern des Kirchspiels standen hofeigene Kapellen, die „Wendelinus“-Kapelle im Osterbach und die Marienkapelle des Spänle-Hofs, die nach einem Gelübde im Krieg entstanden war.
Ziemlich früh morgens wurde eine Messe gehalten und die Minies mussten sich schon vor 6 Uhr auf die Socken machen. Über 1 Stunde durch Wald und Flur und nüchtern wegen der Kommunion.
Nach dem Gottesdienst in der 20-Personen-Kapelle wurde der Zelebrant vom Bauern zum Frühstück eingeladen, selbstverständlich nahm er seine hungrigen Ministranten mit zum Speckvesper. So auch in der Wendelinuskapelle ins hofeigene Wirtshaus, wonach man durch eine Brezel gestärkt den Heimweg antrat, nicht ohne den am Weg stehenden „Zibärtli“-Bäumen unsere Reverenz zu erweisen.
Höhepunkte gab es nicht wenige, der jährliche Besuch des Weihbischofs war immer aufregend. Der hohe Besucher wurde mit „Exzellenz“ tituliert, die Mitra und der Bischofsstab wurden während der Messe von zwei Auserwählten getragen, bei solchen „Levitierten Hochämtern“ mit zwei Diakonen waren bis zu 20 Personen in der Sakristei gleichzeitig beim Anlegen der Gewänder.
Wenn dann aber die Orgel dröhnte, eine Mozartmesse jubilierte und duftende Weihrauchwolken aufstiegen, war man mitten im Geschehen und sich der Sonderstellung bewusst.
Anlässlich der Investition des bisherigen Kaplans als Stadtpfarrer war der leibhaftige Fürst von Fürstenberg mit von der Partie, begleitet von der 5-jährigen Comtesse Ira mit Gouvernante.
Haydn-Oratorien wurden aufgeführt mit namhaften Solisten, verstärktem Kirchenchor und einheimischem Orchester, wobei auch der ganze Chor mit Stühlen besetzt war. Es gab Vor- und Nachteile in diesem Ehrenamt, das mit 14 Jahren automatisch aufhörte, da jeder in seinen Beruf eintrat und ab 7 Uhr morgens beschäftigt war. Mädchen waren keine zugelassen.
Es gab auch handfeste Arbeit zu verrichten, Altarkerzen anzuzünden oder mit dem Löschhörnchen zu löschen, Prozessionsfahnen in der Kirche aufzustellen, bei Kriegergedenkgottesdiensten die “Tumba“ aufzubauen, einen sarggroßen schwarzen Katafalk in die Chormitte zu stellen.
Vorteil waren Privilegien, manche Schulstunde fiel aus oder wir wurden eingeladen, bei einem Bauern einen ganzen Kirschbaum zu plündern, oder der größte Spaß, beim Glockenläuten am Seil zu hängen und rauf und runter zu schweben, Beinbruch inbegriffen.
Es war fast ein Beruf, und Arbeit für Gotteslohn; von Ehrenamt hat damals niemand gesprochen. Manchmal schlugen wir über die Stränge und spielten Streiche; der Volksmund sagte: „Ministranten sind entweder Engel oder Teufel“, bei uns traf das nicht zu, wir waren einfach Lausbuben wie andere, mehr oder weniger fromm."
Text: Lothar Sonntag, Bild: Alfons Streit, Bernd Schmid / Digitale Bearbeitung: Bernd Schmid