Erinnerung der Zeitzeugen: Gastarbeiter / Fremdarbeiter in Hausach

(1939 – 1945)

1941 C01 Hegerfeld08042014

Einige Zwangsarbeiter genossen das Vertrauen der Höfe und konnten sich daher bei ihrer Arbeit in relativer Freiheit bewegen. Foto: Der Weg von der Stadt über die alte Kinzigbrücke zum Hasen- und Hegerfeld, in die Reben und nach Einbach.

Während des Krieges arbeiteten viele ausländische Kräfte, männlich und weiblich, auf Bauernhöfen, in Privathaushalten und Industriebetrieben.

Die ersten Ausländer, die wir zu sehen bekamen, waren 3 französische Kriegsgefangene in braunen Mänteln, die eines Morgens auf unserer Straßenkreuzung Kies vom Lastwagen schaufelten.

Sie arbeiteten bis zum Kriegsende im Steinbruch, einmal tauschte mein Vater mit ihnen Zigaretten ein für Blockschokolade, für uns ein einmaliger Genuss.

Antoine, ein deutsch sprechender Franzose, arbeitete in der Stadtmühle, die „Stadtmüllerin“, Frau Uhl, redete ihn immer mit „Sie“ an. („Antoine, bringen Sie die leeren Säcke nach oben!“)

Wenn wir jungen Schüler ihn mit einem Spottvers ärgerten, drohte er auf Elsässisch: „Kriegsch ä Trembel uff de Büch, bis dr Bachwasser süfsch!“

Er war später in eine verbotene Liaison mit einer Deutschen verwickelt und verschwand plötzlich, die beteiligte Frau wurde zwangsgeschieden.

Fraternisierung mit den „Feinden“ war strengstens verboten.

Karol, ein junger Pole, lebte und arbeitete in unserer Nachbarschaft bei einem Landwirt (11 Kühe, 2 Ochsen). Er hatte Familienanschluss und wurde wie ein Verwandter behandelt. Herr über die 2 Ochsen „Bläß“ und „Spiegel“ kutschierte er selbständig durchs Dorf zur Wiese überm Fluss, um Grünfutter zu holen. Die Ochsen fanden den Weg allein nach Hause, wenn Karol auf dem Bock einschlief. Wir Schüler waren mit ihm befreundet, obwohl Kontakt mit „Ostarbeitern“ ebenfalls verboten war. Nach Kriegsende kehrte er nach Polen zurück, heiratete, und seine Tochter wurde Ärztin.

Die Russin Vera arbeitete ebenfalls in der Nachbarschaft, wo eine Kriegerwitwe eine kleine Landwirtschaft betrieb und jeden Morgen ihren beladenen Graskarren für die beiden Kühe durchs Städtchen zog.

Vera machte nun die Stallarbeit, die vier Kinder waren freundschaftlich zu ihr, wir lernten abends ein bisschen Russisch mit ihr und erfuhren, dass sie selbst zwei Kinder hatte und nicht wusste, wo diese verblieben waren.

Bei uns zuhause verkehrten hin und wieder zwei Russen, die im Herbst unsere Kohlenzuteilung vom Industriebetrieb per Handkarren transportierten, immer kurz vor Mittag schickte sie unser Vater los.

Pjotr N. und Nicolai Markuschin saßen dann bei uns am Tisch, aßen „kapusta“ und „kartoschki“ mit Speck. Am besten schmeckte ihnen der Apfelmost, wie ich mich erinnere.

Eine sehr riskante Sache, die für den Gastgeber im schlimmsten Fall mit Gefängnis geendet hätte. Auf den Bauernhöfen in den Tälern arbeiteten neben jungen Polen auch Mädchen und junge Frauen mit einem „P“-Abzeichen an der Kleidung.

Nach der Badoglio-Kapitulation an der Südfront, bei der die Armee des besagten Generals den weiteren Kampf verweigerte, kamen auch ein gutes halbes Dutzend kriegsgefangener Italienersoldaten in unsere Straße, wo sie in einer kleinen leeren Schreinerei hausten und jeden Tag in Zweierreihen zu ihrem Arbeitsplatz marschierten.

Außerhalb der Arbeitszeit hatten sie freien Ausgang, Aldo, einer von ihnen, besuchte eine Familie in der Nachbarschaft, die drei Töchter hatte.

Als dieser aber eines schönen Frühlingstags zwei tote Singvögel in der Schlinge zur Nachbarin brachte, um sie braten zu lassen, da bekam der „Strizzi“ eine wüste Strafpredigt und eine Woche Haus- bzw. Gartenverbot.

Ein anderer Italiener klingelte eines Tages an unserer Haustüre, und als ich öffnete, fragte er nach einer Mandoline, leihweise.

Ich wollte schon Vaters Instrument vom Speicher holen, aber meine Mutter vereitelte das. (So hängt das gute Stück von 1922 immer noch in meinem Musikzimmer).

Abends hörte man die Südländer oft vor ihrer Behausung singen. („sul’ mare lucica l’ astro d’ argento....“).

Diesen genannten Fremdarbeitern ging es im Allgemeinen noch etwas besser als den 40 – 50 Russen, die jahrelang in einer Kegelbahn untergebracht waren.

Sie marschierten jeden Morgen in Uniform oder Arbeitskleidung unter Bewachung eines Landwehrmannes mit aufgepflanztem Bajonett zum Industriebetrieb, hin und wieder bückte sich einer, um Zigarettenkippen vom Pflaster aufzuheben. Der Jüngste der Kriegsgefangenen und Zivilen lief oft weinend am Ende der Gruppe und war noch keine 14 Jahre alt.

Alle zusammen aber waren Zwangsarbeiter.

Text: Lothar Sonntag. Weil / Digit. Bearb. Bernd Schmid / Bild: Archiv Helmut Selter