Hannes Winterer: "Damit war der Krieg für uns vorbei!"
Resumé eines langen Weges aus französischer Gefangenschaft
Hannes Winterer: „Ich denke an die Menschen, die gut zu mir waren, obwohl ich ihr Feind gewesen war“
Hannes Winterer *29.07.1925 + 23.02.2010 hat seinen Weg als jugendlicher Soldat aus der französischen Gefangenschaft zurück nach Hausach dokumentiert und aufgeschrieben. "Hausach-Chronik-online" dankt seiner Gattin, Frau Winterer, für ihre Bereitschaft, diesen objektiven und detaillierten Bericht als Mosaikstein der Darstellung einer schweren Zeit zu veröffentlichen.
In den Morgenstunden des 6. Juni 1944 landeten in Colleville-sur-Mer, etwas westlich der „Omaha Beach“, die 1. und 29. US - Infanteriedivision. Der damals 18- jährige Soldat Hannes Winterer aus Hausach sollte mit seiner Kompanie an der schmalen unbefestigten Straße zum Dorf Colleville-Sur-Mer den anrückenden amerikanischen Verbänden Widerstand leisten. Seine Kompanie war auf 10 Mann zusammen geschmolzen. Weiterer Widerstand war nach Einschätzung seines Kompanieführers zwecklos. H.Winterer „Doch jede Entscheidung wurde uns abgenommen, als von der Seite her durch das Gebüsch plötzlich sieben amerikanische Soldaten im Gänsemarsch daherkamen… wir fanden es weise die Hände hochzunehmen. Damit war der Krieg für uns vorbei.“ -
Für Hannes Winterer begannen die Jahre der Gefangenschaft zunächst im Gefangenenlager Colleville, später in Le Havre. Im 12-stündigen Schichtdienst waren die Gefangenen beim Löschen amerikanischer Nachschub-Frachtschiffe eingesetzt. Am badischen Dialekt erkannte er zu seiner Freude Mitgefangene aus Nordrach und Heiligenzell, die seine ersten Vertrauten und späteren Fluchtbegleiter aus dem Gefangenenlager wurden. Eine Aufgabe bestand für die Gefangenen auch darin, für amerikanischen Soldaten Holzkisten zum Transport von „Beutegut“ anzufertigen. Das dabei verwendete Werkzeug inspirierte den jungen Hannes Winterer mit seinen beiden badischen Freunden zu ersten Fluchtplänen.
Am 2. Februar 1946 bestiegen sie einen Güterwagen, der von ihm und einigen Kameraden mit Toilettenpapier beladen worden war. Bestimmungsort Stuttgart. Während der 10-tägigen Fahrt durch Belgien und Frankreich über Aachen und Karlsruhe verließen die drei jungen gefangenen Soldaten bei einem Bahnwärterhäuschen in Bretten über eine in den Boden gesägte Luke das Versteck im Güterwaggon.
Nun ging es zu Fuß durch den Nordschwarzwald auf Nebenstraßen, durch die Schneelandschaft Richtung Hausach. Hannes Winterer: „In den an unserem Weg über Palmbach, Busenbach, Richtung Herrenalb liegenden Bauernhöfen fanden wir gute Menschen, die uns zu essen gaben und einen Schlafplatz im Heuschober“ Der Weg führte weiter über den Mooskopf bei Ottenhöfen zum Brandenkopf. – Am 19. Februar 1946 endete nach elfhundert Kilometern gefährlicher Wegstrecke dennoch erfolgreich die Heimkehr. Hannes Winterer: „Um 15:00 h kam ich an den Sportplatz meines Heimatstädtchens, wo wegen eines Fußballspiels eine große Menschenmenge versammelt war, an der ich unerkannt vorbei kommen musste. Die Absurdität wurde mir bewusst …während andere junge Leute hier Fußball spielten, musste ich mich verstecken wie ein Verbrecher.“
„Schon am nächsten Tag ging ich (wegen der Lebensmittelkarten) aufs Rathaus, wo mich Bürgermeister Rist sehr freundlich begrüßte. Er riet mir, mich zunächst nicht bei der französischen Behörde zu melden und noch etwas zuzuwarten“ – Am Folgetag wurde Hannes Winterer von französischen Polizisten im Elternhaus wohl wegen fehlender Entlassungspapiere verhaftet. Zunächst brachte man ihn ins Wolfacher Gefängnis, dann in ein Gefangenenlager nach Malschbach bei Baden-Baden. Ostern 1946 "feierte" er in Straßburg, in einem der feuchten Gewölbekeller der Kasematten von 1870/71. Hannes Winterer: „Wer einmal in einem so muffigen Keller auf feuchtem Stroh gehaust hat, weiß, was Freiheit ist.“ – Von dort ging es weiter nach Limoges, wo er in einem alten Schlachthaus untergebracht war und tagsüber Arbeiten in einem weniger bewachten Kindergarten zu verrichten hatte, was in ihm den 2. Fluchtplan reifen ließ, zumal der Monat Juni schon wegen der angenehmen Witterung und der ersten Nahrungsmittel auf den Feldern günstig erschien.
Die anfänglich gut laufende 2. Flucht aus der Gefangenschaft endete dennoch nach drei Tagen und einer Fußstrecke von über 90 km bei Guéret. Ein freundlicher Polizist zog den Flüchtigen aus dem Fluss La Creuse, in dem Hannes sich Sichtschutz vor dem Verfolger erhofft hatte. – Wieder wurde Zwangsarbeit bei schlechtester Verpflegung mit schweren Rodungsarbeiten bei Limoges verordnet. Nachdem Hannes Winterer und sein Mitgefangener Hermann schriftlich auf die schlechte Verpflegung hingewiesen hatten, wurde ihnen die Deportation nach Afrika angedroht; in einem Viehgatter wurden beide auf dem Dorfplatz als Gefangene zur Schau gestellt. -
Am 15. August, zwei Jahre nach Kriegsende, wagte der junge Hannes mit seinem neuen Freund den dritten Fluchtversuch. Diesmal sollte die Flucht mit „organisierten“ Fahrrädern gelingen. Über Bourges schafften die beiden immerhin 600 km und wurden dann, eine Tagesreise vor der deutschen Grenze, erneut verhaftet. Nach kargen Wochen im Gefangenenlager wurde Hannes Winterer als Helfer in eine Metzgerei vermittelt: - „ Man setzte sich zu Tisch, forderte mich auf mit zu essen. Ich sah eine große Schüssel mit einem Schinken darin. Der neue Patron ermunterte mich immer wieder…. Es war ihm anzusehen, dass er sich mit mir freute.“
Bald sollte Hannes Winterer „Freiarbeiter“ werden und sich im Gegenzug auf 2 Jahre in der Metzgerei verpflichten, was er ablehnte. Am 20. Juni 1947 bot sich Hannes und einem Mitgefangenen erneut die Chance zur 4. Flucht. Eine Ladung Kartoffelmehl sollte per Lastwagen nach Straßburg gebracht werden. Hannes und sein Leidensgenosse versteckten sich zwischen den Säcken unter einer Regenplane. Auf der Höhe von Ottenheim erreichte Hannes Winterer mit Hilfe eines aufgepumpten Radschlauches und daran befestigten Schweinsblasen das deutsche Rheinufer. „Bei unserem Anblick, den wir barfuß und mit nacktem Oberkörper boten, wusste die Bäuerin, die uns entdeckte, sofort Bescheid. Sie nahm uns mit ins Haus, machte uns ein gutes Frühstück mit ganz heißem Kaffee zum Aufwärmen.“ Der Weg über Biberach durchs Kinzigtal zum Gasthaus Hechtsberg war voller Erwartungen an die wieder gewonnene Heimat. Hannes Winterer meldete sich aus Vorsicht durch einen Bekannten im Elternhaus an. Seine drei Schwestern empfingen ihn freudig gegen 19:00 Uhr am Pavillon oberhalb des Städtles am Schlossberg. Sie harrten bis zur Sperrstunde um Mitternacht aus, bevor sie sich ins elterliche Haus hinter der Stadtkirche wagen konnten.
Zur Sicherheit setzte sich Hannes Winterer diesmal gleich in die amerikanische Zone ab, wo es ihm gelang, amerikanische Entlassungspapiere zu erhalten. Im französischen Lager Tuttlingen erhoffte sich Hannes auch die Absegnung seiner Entlassung durch die französische Behörde, was ihm auch per Stempel zugesichert war. Doch den jungen Heimkehrer erwarteten erneut die französischen Polizisten. Es erfolgte die zweite Verhaftung im elterlichen Haus durch die französische Polizei. Im Juli 1947 ging es nach langem Verhör in Wolfach per Handschellen ins Offenburger Gefängnis Holderstock, von dort wieder über das Lager Malschbach, die Kasematten Straßburg nach Mulhouse in eine ehemalige Artilleriekaserne, wo er gemeinsam mit 40 anderen Gefangenen bei fürchterlichem Gestank auf engstem Raum im Keller eingesperrt war. In den folgenden Verhören wurde der Schilderung seiner Fluchtversuche kein Glaube geschenkt. Die Besatzer vermuteten Helfer in ihren eigenen Reihen. Nach sieben Wochen körperlicher Misshandlung bei schlechtester Kost gaben die französischen Polizisten entnervt auf.
Hannes wurde nach Toulouse ins „Camp des Sables“ verlegt. Nach Monaten des unerträglichen Nichtstuns folgte wieder die Zuweisung zu einem Bauernhof, an dessen Patron sich Hannes Winterer mit den besten Gefühlen erinnert, denn hier endete nun wirklich seine Gefangenschaft. Hannes Winterer: „Der Güterzug, der mich mitnehmen wollte, stand schon da. Mein Patron drückte mir ein in Papier eingewickeltes gebratenes Hähnchen in die Hand und winkte mir gerührt zu. Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl dabei. Noch einmal dachte ich an die Menschen, die gut zu mir waren und mir ganz selbstverständlich ihr Wohlwollen und ihre Freundlichkeit gegeben hatten, obwohl ich ihr Feind gewesen war.“
Text: Bernd Schmid als Zusammenfassung der privaten Aufzeichnungen des Hannes Winterer. Bild: Privat/Frau Winterer