Wie der elektrische Strom Einzug hielt

Von der Hausacher Stadtmühle über das Badenwerk zum E-Werk Mittelbaden

Heute, im Zeitalter digitalisierter Produktion und der „just in time“ Belieferung durch Bauteile eines Fertigproduktes zeigt sich auch in Hausach, dem Industriestandort des Mittleren Kinzigtales ein Stromersorgungskonzept, das vor dem Spiegel der Ortsgeschichte zunächst eher wenig transparent erscheint. Diplom Ingenieur Ernst Gorenflo, maßgeblicher Leiter der Hausacher Betriebsverwaltung und des Regionalservice der Badenwerk AG zwischen 1966 und 1997 informierte „hausach-chronik-online“ über die faszinierende technisch - historische Entwicklung, ohne die in Hausach jede weitere infrastrukturelle Maßnahme des 19. Jahrhunderts zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.

1913 C01 Hauptstrasse 01

Hausach Ortsdurchfahrt mit den ersten Überleitungsmasten. Links die Zehntscheuer.

1913 C02 Kaiserhofmitmuehle

Mühle vom Kaiserhof im Hauserbach. 

Noch vor 120 Jahren um 1880 wurden die wichtigsten Straßen und Plätze unserer Stadt nachts mit dem kärglichen Licht von Fackeln und weniger Gaslaternen ausgeleuchtet. Das örtliche Gewerbe, die Drechslerei Seeholzer, die Stadtmühle, das Sägewerk in der Stadt und in Einbach, die vielen kleineren Hofmühlen aber auch der wichtigste Hausacher industrielle Betrieb, das aufstrebende Walzwerk des Heinrich Sohler betrieben ihre Maschinen überwiegend mit Hilfe von Wasserkraft. Die Firma Thyssen als Nachfolgerin der Hammerschmiede mit der Erzschmelze von 1740 war noch um 1980 Eignerin der Deichanlage am Kinzigwehr. Ihr gehörte auch das Gelände des Kanals bis zur Brücke vor der Graf-Heinrich-Schule.

Mit dem Beginn der Stromerzeugung aus Wasserkraft durch viele Gemeinden und private Firmen änderte sich die industrielle Eintwicklung auch im Kinzigtal geradezu revolutionär. Die Stromerzeugung erfolgte an Flüssen und Bächen mit einem Wasserrad (Sengle im Naturfreundehaus), dann der Wasserturbine (Stadtmühle, Mannesmann) sowie Holzgasmotoren und Dieselanlagen mit Gleichstromgeneratoren. Erst in den späteren Jahren setzte sich der Drehstromgenerator durch, dessen Erfinder Friedrich August (1859-1932) aus der Hausacher Einwanderer Famile Haselwander stammte. 

Triberg führte als erste deutsche Stadt 1884 die elektrische Beleuchtung in Form einer Lichtbogenlampe ein.

1913 C03 Generator

Generatoren der "Überlandzentrale Schnellingen"

Zwischen 1894 und 1898 gründeten sich die ersten Stromversorgungsunternehmen in Rheinfelden, Zürich, St. Blasien und 1898 in Haslach. Die beiden umtriebigen Unternehmer Anton Bauer und Artur Schöneberger in Haslach – Schnellingen, die ab 1893 zunächst Streichhölzer, feinsten Tafelsenf, Essigessenz und ein Sägewerk zur Herstellung von Kisten unterhielten, betrieben ab 1912 mit ihre Wasserturbine über Lederriemen zwei Drehstromgeneratoren. Schon 1913 erhielt die Firma von der Badischen Regierung Konzession und den Auftrag, das Kinzigtal mit Strom zu versorgen. Das Unternehmen nannte sich danach „Überlandzentrale Schnellingen“. Es kooperierte mit der Stadtmühle Hausach, und anderen aufstrebenden städtischen und privaten E-Werken, auch mit der neuen Mannesmann Wasserturbine in Hausach.

Zur gleichen Zeit baute der in der Hausacher Stadtmühle beheimatete Emil Fischinger (1860-1931) die erste europäische 100 kV – Übertragungsleitung von Lauchhammer nach Riesa und Gröditz (Sachsen).

Das Schnellinger Unternehmen Bauer und Schöneberger versorgte vor der Übernahme durch das Badenwerk die Gemeinden von Gengenbach bis nach Bad Rippoldsau.

1913 C04 Stadtmuehle

Eines der vielseitigsten Gebäude in Hausach. In der Stadtmühle wurde Korn gemahlen, in einer Schulstube unterricht, Strom erzeugt und Lebensmittel verkauft.

1921 wurde mit dem Bau des Wasserkraftwerkes Forbach das Unternehmen „Badenwerk“ mit dem Firmensitz Karlsruhe gegründet, das ganz Baden mit Elektrizität versorgen sollte. Mit dem „Energiewirtschaftsgesetz“ 1935 regelte die NS-Reichsregierung die zentrale Stromversorgung durch Großunternehmen, kleinere Konzessionen wurden nicht mehr erneuert, die „Badenwerk AG“ übernahm die Versorgung des Kinzigtals. Mit dem 1. Oktober 1938 wurde in der Haslacher Mühlenstraße eine Niederlassung des Badenwerks, das „Betriebsbüro Kinzigtal“ eingerichtet. Erworben wurden die Stromversorgungsnetze von „Bauer und Schöneberger und der Stadt Hausach mit der Stadtmühle.“ Die Stadt Haslach wollte das eigene E-Werk nicht verkaufen, so dass es bis heute den Haslachern gehört.

Aus diesem Grund wurde der Firmensitz des „Betriebsbüros Kinzigtal“ unter der Leitung von Obering. Reinhold Katzer im Oktober 1939 nach Hausach in die Inselstrasse 30 verlegt. Das Insel-Kaffee Jauch wurde als Standort erworben. Eingerichtet wurde ein kleines Büro mit Werkstatt und einer Betriebsleiter-Wohnung. Das Materiallager war in der Kegelbahn des Gasthauses Blume untergebracht. 

Das Betriebsbüro betreute nun von Hausach aus die Stadt Kehl und 11 Gemeinden des Hanauerlandes bis nach Freistett, teilweise auch Gemeinden im Elsass zwischen Straßburg und Schlettstadt.

Nach Kriegsende begann der Wiederaufbau, die Behebung der Schäden an den Anlagen und Leitungsnetzen und den unterbliebenen Instandsetzungsarbeiten wegen des Kupfermangels während des Krieges. Im Versorgungsgebiet siedelten viele mittelständische Unternehmen, der Strombedarf stieg ebenso enorm wie die Versorgungsqualität. Die Netze wurden verstärkt und erweitert, aus dem 110 KV- Netz wurden 8 Umspannanlagen errichtet. In Kehl, Zell, Hausach, Schiltach und Bleibach wurden kundennah Bezirksstellen mit je 4 Mitarbeitern eingerichtet.

1913 C05 Badenwerkb

Das "Betriebsbüro Kinzigtal" des Badenwerks war ab 1973 zum Regionalservice mit 110 technischen und kaufmännischen MitarbeiterInnen angewachsen. Von Hausach aus wurden 1 100 qkm des Mittleren Schwarzwaldes, bewohnt von 200 000 Menschen, in 41 Städten mit 500 Industrie- und Gewerbeanlagen mit Strom versorgt.

Wegen der gestiegenen Anforderungen vergrößerte sich unter der Leitung von  Dipl.Ingeneur Ernst Gorenflo das Versorgungsgebiet des Betriebsbüros Kinzigtal ständig. Ab 1973 wurden von Hausach aus 1 100 qkm, bewohnt von 200 000 Menschen, in 41 Städten mit 500 Industrie- und Gewerbeanlagen mit Strom versorgt. Das Betriebsbüro war zum Regionalservice mit 110 technischen und kaufmännischen MitarbeiterInnen angewachsen. Entsprechend waren erweiterte Freilagerfläche, eine Lagerhalle mit Werkstätten und Fahrzeuggaragen sowie einem Verwaltungsneubau die Voraussetzungen für den inzwischen gestiegenen Personalstand, größeren technischen Fuhrpark und die umfangreiche Materialbereitstellung geschaffen. Zur Arbeitserleichterung für die Abrechnung des Stromverbrauchs an die Stromkunden, für die Materialwirtschaft, die Buchhaltung wurde die elektronische Datenverarbeitung eingeführt. 1985 wurde im neuen Verwaltungsgebäude eine zentrale Fernwirkanlage und die für das gesamte Versorgungsgebiet zuständige Netzführungsstelle (Schaltleitung) mit den entsprechenden technischen Einrichtungen aufgebaut.

Um den Anforderungen eines liberalisierten europäischen Strommarktes besser gewachsen zu sein, beschlossen 1998 die beiden Unternehmen Badenwerk AG in Karlsruhe und Elektrizitätswerk Mittelbaden AG in Lahr zwei Versorgungsbereiche zusammen zu führen. Dadurch wurde ein großes zusammenhängendes Leitungsnetz vom Rhein bis hoch ins Kinzigtal unter der Netzführung eines einzigen leistungsfähigen Unternehmens geschaffen. Das neu gebildete Unternehmen firmiert als E-Werk Mittelbaden AG.

Faszinierend erscheint die Verknüpfung der historischen Entwicklung der Stromversorgung im Kinzigtal mit den beiden aus Hausach stammenden Ingenieuren Haselewander und Fischinger, deren Pioniergeist und Erfindungen Meilensteine auf dem Weg des Transports elektrischer Energie waren.

Text: Bernd Schmid, Ernst Gorenflo   Quelle: Dipl. Ingenieur Ernst Gorenflo, Leiter der Hausacher Betriebsverwaltung und des Regionalservice der Badenwerk AG